Maria Jähde
Maria Jähde vom Senckenberg Naturmuseum in Görlitz vor drei Schädeln: Hybridschädel, Wolfsschädel, Hundeschädel (v.l.nr.)

Senckenberg-Thema

Der Wolf in Deutschland

Im Frühjahr 2000 wurden im Nordosten von Sachsen zum ersten Mal – seit der Ausrottung des Wolfes durch den Menschen um 1850 – in Deutschland wieder wildlebende Wolfswelpen geboren.

Nachdem in den folgenden fünf Jahren die weitere Etablierung dieser Tierart nur zögerlich verlief, ist seit 2006 ihre dynamische Ausbreitung zu beobachten. Inzwischen leben in allen östlichen Bundesländern territoriale Wölfe.

Auch im Süden bzw. Westen von Deutschland, wo bisher nur Niedersachsen Wolfsrudel beherbergte, schreitet die Entwicklung voran. Hin und wieder wandern auch einzelne Wölfe aus Deutschlands südlichen Nachbarländern nach Deutschland ein.

So wird es immer wichtiger, die in den Bundesländern erhobenen Daten zum Vorkommen von Wölfen, aber auch zu den damit verbundenen Konflikten und Ängsten, bundesweit aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen.

Nationales Referenzzentrum

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung wurde nach einem umfangreichen Auswahlverfahren des Bundesamts für Naturschutz den Bundesländern zur Nutzung als „Nationales Referenzzentrum für genetische Untersuchungen bei Luchs und Wolf“ empfohlen und untersucht daher seit Anfang 2010 alle bundesweit anfallenden Wolfsproben.

Dieses zentrale Vorgehen ist sinnvoll und international üblich, um einen Überblick zur bundesweiten Situation zu erhalten und Messungenauigkeiten zwischen Labors zu vermeiden, da wildtiergenetische Untersuchungen bisher keinen genormten Standardisierungsverfahren unterliegen.

Die Neutralität von Senckenberg innerhalb dieses Verfahrens wurde in den sozialen Medien regelmäßig angezweifelt. Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft ist Senckenberg jedoch zur Einhaltung höchster wissenschaftlicher Standards verpflichtet. Wissenschaftliche Neutralität gehört somit zu unseren obersten Leitzielen.

Pipettierung
DNA Labor Gelnhausen

Erkenntnis dank Mikrosatelliten

Grundlage des bundesweiten genetischen Wolfsmonitoring bilden Mikrosatellitenuntersuchungen, die einen einzigartigen genetischen Fingerabdruck ergeben und Rückschlüsse auf Individuenzahlen, Verwandtschaften und das Vorkommen von Hybriden der ersten Hybridgeneration (F1) erlauben.

Bislang wurden bei über 4000 Proben mit Wolfsverdacht Kern-DNA-basierte Mikrosatellitenuntersuchungen durchgeführt. Um auch weiter zurückliegende Hybridisierungsereignisse erkennen zu können, verwendet Senckenberg eine kürzlich entwickelte Methode: Über einen sogenannten SNP-Chip werden zahlreiche über das komplette Genom verteilte Punktmutationen (SNPs) untersucht, an denen sich Wölfe unabhängig ihrer geografischen Herkunft sicher von Haushunden unterscheiden lassen.

Die Methode basiert auf den Daten großer genomweiter Studien, die in den letzten Jahren von international führenden WissenschaftlerInnen durchgeführt wurden. Anhand der Methode lassen sich Hybridisierungsereignisse mindestens bis in die dritte Hybridgeneration (i.e. zweite Rückkreuzungsgeneration) sicher nachweisen. Die Methode ist deutlich präziser und höher auflösend als herkömmliche Methoden.

Herkunft und Wanderbewegungen deutscher Wölfe

Wie durch polnische WissenschaftlerInnen belegt wurde (Czarnomska et al., 2013), ähneln deutsche Wölfe genetisch stark den Wolfsbeständen in Westpolen sowie Tieren aus einem Waldgebiet in den südwestlichen Masuren. Es ist daher anzunehmen, dass die Wölfe Deutschlands und Westpolens aus den Masuren stammen.

Besonders im Süden Deutschlands werden über DNA-Analysen zudem gelegentlich Wölfe nachgewiesen, die aus dem Alpenraum stammen. Einwanderer aus weiteren umliegenden Wolfspopulationen konnten in Deutschland über DNA -Analysen bislang noch nicht nachgewiesen werden.

Im Jahr 2017 wurden erstmals Wölfe in Deutschland nachgewiesen, die aus einem Gehege entkommen waren (Nationalpark Bayerischer Wald). Gehegetiere lassen sich über Mikrosatelliten und mitochondriale DNA-Analysen sicher erkennen.

Über Abgleiche der aktuell mehr als 700 individuelle DNA-Profile deutscher Wölfe umfassenden genetischen Wolfsdatenbank können regelmäßig Weitwanderungen einzelner Wölfe rekonstruiert werden. Beispiele hierfür sind mehrere in Dänemark nachgewiesene Wölfe, die aus der Lausitz stammen, sowie ein Jährling aus dem Wolfsrudel bei Cuxhaven, dessen Wanderroute im Jahr 2016 anhand von DNA-Analysen an Schafsrissen bis in den Bonner Raum und schließlich wieder zurück nach Niedersachsen nachverfolgt werden konnte.

Verwandtschaft und Rudelanzahl

Die Anzahl an über Verwandtschaftsanalysen genetisch rekonstruierten Wolfsrudeln ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. Auf der Homepage der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (DBBW) können die Rudelzahlen pro Jahr eingesehen werden.

In diese Zahlen fließen jährlich auch die Ergebnisse des genetischen Wolfsmonitorings ein. Über die fortlaufenden genetischen Verwandtschaftsanalysen lässt sich bestätigen, dass es sich bei allen bekannten Rudeln um Familien handelt, deren Nachwuchs meist ein bis zwei Jahre beim Rudel verbleibt und danach abwandert. Meist verpaaren sich nur die Elterntiere eines Rudels; in wenigen Fällen wurden Inzuchtpaarungen innerhalb eines Rudels nachgewiesen.

Maria Jähde
Maria Jähde vom Senckenberg Naturmuseum in Görlitz vor drei Schädeln: Hybridschädel, Wolfsschädel, Hundeschädel (v.l.nr.)

Hybridisierungsgrad

Bislang wurden in Deutschland zwei Hybridisierungsfälle nachgewiesen. Vier Welpen aus einem Wurf in Sachsen aus dem Jahr 2003 sowie drei weitere Welpen aus Thüringen (2017) wurden genetisch als F1-Hybriden identifiziert.

Auf tschechischer Seite des Grenzgebiets zu Sachsen wurde zusammen mit Kollegen der Universität in Prag (Prof. Pavel Hulva) 2016 ein weiterer Hybridisierungsfall bestätigt. Außer diesen Fällen konnten über Mikrosatelliten- oder SNP-basierte Untersuchungen keine weiteren Hinweise auf Hybridisierungsereignisse im deutschen Wolfsbestand erbracht werden. Die Hybridisierungsrate bei Wölfen in Deutschland betrug demnach zwischen 2000 und 2017 <1% (2 Fälle bei 245 nachgewiesenen Würfen in Deutschland), was einen im internationalen Vergleich sehr geringen Wert darstellt (siehe z.B. Hindrikson et al. 2012; Pacheco et al. 2017).